Über Performativität, Theatralität und Realität
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[e 22.März 2013] |
Nicht selten kommt es vor, dass man in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich „auftritt“. Sei es innerhalb der Familie als Tochter oder Sohn, sei es im Eheleben als Gattin oder der Gatte, oder sei es an der Universität als Studentin / Student, oder im Freundeskreis „die Verrückte“ oder „der Stille“. Ist man, zu wem man zugeschrieben wird, oder wird zuerst (!) eine Eigenschaft, eine Rolle zugeschrieben, und man spielt sie? Je nach „Rolle“ ist oder kann das unterschiedlich sein. Wenn man an der Universität als Studierende/r immatrikuliert ist, ist man Student, weil das so festgelegt ist. Aber bei Bezeichnungen wie „die Verrückte“ oder „der Ruhige“ haben Faktoren der Fremdzuschreibung einen Einfluss. Doch das „Vorspielen“ einer Rolle, die man sich aussucht, können Zuschreibungen auch in einem bestimmten festgelegten Rahmen kontrolliert werden. Wenn jemand als naiv gelten möchte, aber eigentlich fähig ist, kritische Distanz einzunehmen, ist das einfacher sich als naiv auszugeben – wohingegen es andersrum sich als schwieriger erweist. Dennoch ist es Tatsache, dass Menschen in verschiedene Rollen schlüpfen. Egal ob man das bewusst aus sich heraus macht, oder unbewusst dazu verleitet wird. Wie oft kommt es denn nicht vor, dass Menschen schon bei alltäglichen Handlungen sich anzupassen. Dass man aufpasst wie man isst, sitzt, geht, steht – je nachdem ob es wichtig ist, dass man gerade gesehen wird oder nicht. Daheim sitzen viele Menschen anders als sie das bei einem Abendessen mit der Chefin / dem Chef tun würden, oder verhalten sich in einem Gespräch mit dem Ehepartner unter vier Augen anders, als wenn Personen mithören, was gesprochen wird.
Bei einem Schauspiel ist es nicht viel anders: Schauspieler versuchen eine Rolle besonders gut zu spielen, weil zugeschaut wird. Die Zuschauer bzw. die Rezipienten stehen hier im Vordergrund. Auch etymologisch gesehen steht beim Begriff Schauspiel im Zusammenhang des Theaters das Schauen im Vordergrund. Nicht das Spielen. Die Zuschauer, welche hier die Rezipienten darstellen, machen das Spielen zu einem Schauspiel. Genauso kann man sich jedoch die Frage stellen, ob denn nicht gespielt wird, weil geschaut wird, statt geschaut wird, weil gespielt wird. Im Schauspiel ist es klar: da wird gespielt, damit geschaut wird. Aber auch geschaut, weil gespielt wird. Schauspieler würden auch nicht spielen, wenn keiner schauen würde. Und so ist es in der Realität auch ähnlich. Bis auf den einzelnen Aspekt, dass nicht gespielt wird, damit geschaut wird – wobei das auch schon sein kann.
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Es stellt sich die Frage, wo die Schwelle zwischen der Theatralität im Schauspiel und der Performativität im realen Leben ist..
[e 22.März 2013]
während des Verfassens einer Hausarbeit über:
Performativität und
„Theatralität“ in Wolfram von Eschenbachs Prazival, Buch III, 145,7 – 161,9
(Parzivals 1. Ankunft am Artushof), bei Professor Ludger Lieb. Universität Heidelberg.