„Von der Willfährigkeit der Natur
(1926)
Ach, es kommt ja der Krug mit der
schäumenden Milch auch
Noch zu des Alten zahnlos geiferndem Mund. Ach, es reibt sich dem flüchtenden Schlächter Noch am Bein der Liebe heischende Hund. Ach, dem Mann, der das Kind mißbraucht hinterm Dorfe Neigen sich Ulmen noch mit schönem und schattigem Laub. Und es empfiehlt eure blutigen Spuren, ihr Mörder Unserm Vergessen der blinde, freundliche Staub. So auch verwischt der Wind die Schreie von sinkenden Booten Vorbedacht mit dem Säuseln des Blattwerks im Innern des Lands Und er hebt höflich der Magd vor dem syphilitischen Fremden Daß er die lustigen Beine sähe, den Zipfel des armen Gewands. Und es deckt das tiefe, wollüstige Du eines Weibes Nachts das Geflenn des erschreckten Vierjährigen zu in der Ecke des Raums. Und in die Hand, die das Kind schlug, drängt sich der Apfel Schmeichlerisch aus der Ernte des jährlich üppiger wachsenden Baums. Ach, wie glänzt das klare Auge des Kindes Wenn der Vater den Kopf des Ochsen zu Boden zwingt und das Messer aufschnellt! Und wie wogen die Busen der Weiber, an denen einst Kinder gehangen Wenn durchs Dorf der kriegrische Marsch der Manöverkapelle gellt. Ach, unsere Mütter sind käuflich, es werfen sich weg unsere Söhne Denn nach jedwedigem Eiland späht die Mannschaft des brüchigen Kahnes! Und ihm ist genug auf der Welt, daß der Sterbende kämpft, doch die Frühe Noch zu erleben und noch das dritte Krähen des Hahnes.“[1], |
[1] Zitiert nach Hinck, W. (Hg.):
Ausgewählte Gedichte Brechts mit Interpretationen. S. 29f: Bertolt Brechts
Hauspostille. In: Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem Band. Suhrkamp Verlag
Frankfurt am Main. 7. Auflage 1993. S. 194f.