Samstag, 1. Juni 2013

Bertolt Brecht: "Von der Willfährigkeit der Natur"



„Von der Willfährigkeit der Natur (1926)

Ach, es kommt ja der Krug mit der schäumenden Milch auch
Noch zu des Alten zahnlos geiferndem Mund.
Ach, es reibt sich dem flüchtenden Schlächter
Noch am Bein der Liebe heischende Hund.
Ach, dem Mann, der das Kind mißbraucht hinterm Dorfe
Neigen sich Ulmen noch mit schönem und schattigem Laub.
Und es empfiehlt eure blutigen Spuren, ihr Mörder
Unserm Vergessen der blinde, freundliche Staub.
So auch verwischt der Wind die Schreie von sinkenden Booten
Vorbedacht mit dem Säuseln des Blattwerks im Innern des Lands
Und er hebt höflich der Magd vor dem syphilitischen Fremden
Daß er die lustigen Beine sähe, den Zipfel des armen Gewands.
Und es deckt das tiefe, wollüstige Du eines Weibes
Nachts das Geflenn des erschreckten Vierjährigen zu in der Ecke des Raums.
Und in die Hand, die das Kind schlug, drängt sich der Apfel
Schmeichlerisch aus der Ernte des jährlich üppiger wachsenden Baums.
Ach, wie glänzt das klare Auge des Kindes
Wenn der Vater den Kopf des Ochsen zu Boden zwingt und das Messer aufschnellt!
Und wie wogen die Busen der Weiber, an denen einst Kinder gehangen
Wenn durchs Dorf der kriegrische Marsch der Manöverkapelle gellt.
Ach, unsere Mütter sind käuflich, es werfen sich weg unsere Söhne
Denn nach jedwedigem Eiland späht die Mannschaft des brüchigen Kahnes!
Und ihm ist genug auf der Welt, daß der Sterbende kämpft, doch die Frühe
Noch zu erleben und noch das dritte Krähen des Hahnes.
[1],



[1] Zitiert nach Hinck, W. (Hg.): Ausgewählte Gedichte Brechts mit Interpretationen. S. 29f: Bertolt Brechts Hauspostille. In: Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem Band. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main. 7. Auflage 1993. S. 194f.

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Schwäbische Alb, Baden-Württemberg, Germany
undhiertrifftmanaufundnocheinentropfen aus dem ozean. einen tropfen guter ernte. einen tropfen für das löschen des feuers. einen tropfen wahrheit. einen tropfen hoffung. einen tropfen klarheit.